3,5 Stunden mit dem Auto ans Meer in die Niederlande, genauso lange mit dem Zug nach Paris, auf dem Weg dahin in Brüssel aussteigen. Nach ungefähr 6 Stunden Fahrt kann man Neuschwanstein besuchen. Der Kölner Dom war nur 20 Minuten entfernt und nach London braucht man etwas mehr als 5 Stunden. Wer in Europa reist, ist es gewohnt, irgendwo anzukommen. Ein Ziel zu haben. Die Fahrt ist schnell vorbei und man konzentriert sich darauf, Städte, Sehenswürdigkeiten, Parks oder Museen zu erkunden.
Ich hatte immer ein Buch, Videos oder genug Müdigkeit dabei, – der Weg hatte keine große Bedeutung. Vor Ort liebte ich schöne Hotels, gute Restaurants, Museen, Menschen, Kultur und ja auch Shopping.
Vor einigen Jahren bin ich knapp 4 Wochen mit dem Auto durch Kanada gefahren. Los ging es in Vancouver und dann weiter zum Banff National Park, hoch nach Jasper, runter nach Clearwater, wieder hoch nach Prince George, dann an die Küste nach Prince Rupert, die Innenpassage mit der Fähre, schließlich über Vancouver Island wieder zurück nach Vancouver.
Nachdem wir losfuhren, fragte ich mich, wann wir denn da sein würden. Wie viel Zeit wir mit Fahren verbringen würden. Und ich habe Schilder mit dem Hinweis, dass die nächste Tankstelle erst in 100 Meilen sein würde, das erste Mal in meinem Leben gesehen und ich konnte mir selbst dabei zusehen, wie mein Verstand diese Information zu verarbeiten versuchte.
Unsere Wanderungen führten uns durch fantastische Wälder, wo wir Kratzspuren von Braunbären in den Bäumen gesucht haben. Ich habe gelernt, dass es sich bei Bärenpfeifen nicht unbedingt um „Touristenzeug“ handelt und dass man manchmal zu Fuß einen Highway überqueren muss. Wir sind tagelang durch Landschaften gefahren, die sich optisch kein Stück veränderten. Wir gingen auch nicht „eben zu Fuß“ zum nächsten Restaurant. Wir haben es versucht und nur unsere Sturheit und Stolz hielten uns davon ab, nach 1 Stunde gehen, ein Taxi zu rufen (ich bin mir auch nicht sicher, ob wir eines bekommen hätten).
Die Unterkünfte waren so anders, als die ich bisher gesehen hatte: Riesige Zimmer, Restaurants mit „old fashioned“ Burgers, Frühstück mit Eiern, Speck, Ketchup und natürlich Pancakes. Wir haben ein Zimmer gehabt, welches in einem Holzhaus war, dass Schweizer gebaut haben und welche uns mit der Erzählung, dass Grizzlies gefährlich seien und nicht die Braunbären zu beruhigen versuchten.
Eine Unterkunft war nur über eine so genannte gravel road erreichbar, lag an einem See und mitten in der Nacht bin ich mit dem Gedanken aufgewacht, dass niemand, wirklich niemand außer uns in der mittelbaren Umgebung war. Das führte dazu, dass ich den Sonnenaufgang sah, der wirklich schön war. Eine Attraktion des Tages war, nach 4 Stunden auf der Terrasse den Biber zu sehen, der im See wohnte und sich nicht oft zeigte. Ich möchte auch nicht vergessen, zu sagen, dass der Koch dieses Restaurants seinen einzigen zwei Gästen ein fantastisches Steak grillte!
Wir brauchten eine Woche, um zu verstehen, dass es kein Ziel gibt. Dass es um den Weg geht. Wir fanden ein Musikgeschäft und füllten unsere Wege mit Peter Gabriel´s „In Your Eyes“, quatschen dummes Zeug, warteten auf Elche, wenn sie mitten im Nichts den Highway überquerten. Nach der ersten Woche waren wir im richtigen Tempo angekommen.
Wir reisten, fuhren, wanderten, staunten, lachten und wunderten uns, doch wir wollten nirgendwo hin, wir hatten tatsächlich kein Ziel. Wir haben endlose Weiten erlebt.
In den letzten Tagen unserer Reise wechselte der Rhythmus wieder zurück und die Stadt Vancouver stimmte uns langsam wieder auf das ein, was wir gewohnt waren. Und spätestens als wir in Düsseldorf am Flughafen ankamen und hinter uns ein Mann schimpfte, dass wir uns beeilen sollten, wussten wir, dass wir wieder in Deutschland angekommen waren.
Einige Jahren wohnen wir jetzt schon nicht mehr in Europa, sondern im State Washington, USA, der sehr ähnlich zu den Landschaften in Kanada ist. Manchmal vermisse ich die alten Ziele. Einfach mal mit der Bahn in die Stadt fahren, in dem Café gegenüber vom Kölner Dom sitzen, am Rhein entlang gehen und im nahegelegenen Restaurant des Museums zu Mittag essen.
Bei unserem letzten Besuch in Deutschland erlebten wir es als eng, schnell, laut. Wir haben uns an den Platz, die Stille und die Langsamkeit gerne gewöhnt.
Hier gibt es kein Ziel – nur einen Weg.